Die
Glaswand









Wie werde ich NICHT wie meine Mutter?

Manchmal denken wir, dass wir aus Mangel an Liebe leiden: Die Mutter ist schuld. Wir versuchen, ihr keine Schuld zu geben und Frieden zu finden. 

In unseren Beziehungen machen wir es jedoch wie sie damals: Nach einer Anfangsphase werden wir emotional unerreichbar. Wir funktionieren, während die anderen schwach sein dürfen. Wir lassen uns ausbeuten.

Die Frau rief mich an, weil sie genau das nicht mehr aushalten wollte: Sie übernahm die ganze Verantwortung in der Familie und er stahl sich immer mehr davon. Sie wollte wissen, was Ihr Beitrag zur Krise war und insbesondere den Weg daraus finden.

Oft ist es so, dass wir aus fehlendem Wissen im Kindesalter leiden. Emotionen und Glaubenssätze werden von Gedanken generiert, wobei Gedanken auch als eine schmerzvermeidende Interpretation von Erfahrungen entstehen. 

Jetzt wissen wir es besser als damals. Um nicht mehr zu leiden, müssen wir mit unserem Wissen und Lebenserfahrung zurück in die emotionalen Bilder unserer Kindheit gehen.

Ich kann die Hilflosigkeit und Verzweiflung meiner Klientin wahrnehmen. Sie fühlte sich der Situation ausgeliefert. Das war ihr bis zu unserem Gesprech  nicht bewusst.

ICH: Hast du dies schon mal in der Kindheit erlebt?

Ich sah vor meinen Augen ein Kind etwa 1- 2 Jahre alt und die übergroße Mutter ihm gegenüber. 

KLIENTIN: Meine  Mutter war narzisstisch und emotional instabil. 

Narzisstische Menschen sind nicht erreichbar. Um ihr zu helfen, emotional besser ins Bild einzusteigen, bringe ich das Bild einer Glaswand in die Beschreibung der Situation von damals: 

ICH: Ich sehe eine Glaswand zwischen dir und deiner Mutter. 

KLIENTIN: Ja. Ich kann die Mutter sehnen, aber nicht erreichen.

Eine solche Glaswand erzeugt im Kleinkind Wut und Angst. Aber diese Gefühle zu fühlen, ist sie jetzt noch nicht bereit. Also bleiber ich bei der Glaswand.

Ich erkläre Ihr, dass sie so eine Glaswand jetzt in der Beziehung zu ihrem Mann hat: Er kann sie nicht erreichen und ist deswegen wütend und geht weg.

KLIENTIN: Ja. Genau so ist er.

Die Wut ihres Mannes ist ihre unterdrückte Wut, aber das kann ich ihr jetzt nicht sagen, weil sie es nicht verstehen würde. Ich musste mit der Glaswand arbeiten. 

Wir gehen zurück zur Szene mit der Mutter. Ich nehme wahr, dass die Ohnmacht und Verzweiflung, die sie jetzt wieder fühlt, nicht genug waren, um die Probleme in der Ehe zu erklären. Die psychische Energie kam von anderswoher. 

Ich erkläre ihr meine Wahrnehmung und sage, dass noch eine andere Person hier auftaucht. Ich wüsste nicht, ob es jemand aus der Ahnen der Mutter, oder des Vaters, oder eine fremde Person - wenn man an frühere Leben glaubt, könnte auch jemand aus einem früheren Leben sein. 

Ich bitte sie, sich diese unbekannte Person gedanklich irgendwo hin im Raum vorzustellen. Nachdem sie das tut, bitte ich sie, dahinzugehen und zu spüren, was diese Person fühlte.

KLIENTIN ( flüstert verblüfft): Das ist die Mutter. Wahrscheinlich war Oma überfordert, als sie in jungen Jahren ein Kind bekam und konnte deswegen ihre Tochter emotional nicht versorgen.

Ich fühle, dass auch diese Geschichte eine Wiederholung von Mustern aus früheren Generationen ist. In solchen Situationen können wir die Kraft der Ahnen zurückbekommen, aber dafür war jetzt zu früh. Die sensible Frau am Telefon braucht Zeit, um ihre Gefühle und Gedanken zu sortieren.

Ich bitte sie aus der Energie der Mutter herauszugehen, wieder an ihrem Platz zu kommen und auf die Mutter zu schauen. 

ICH: Was fühlst du jetzt?

KLIENTIN:  Gleichgültigkeit.

Obwohl sie die Mutter nicht verurteilt, kann sie keine Empathie haben. Ich entscheide mich, in dieser Session mit ihr dahin zu gehen, d𝙚𝙣 𝙎𝙘𝙝𝙢𝙚𝙧𝙯 𝙞𝙣 𝙨𝙞𝙘𝙝 𝙬𝙞𝙚𝙙𝙚𝙧𝙯𝙪𝙛𝙞𝙣𝙙𝙚𝙣.

Ich erkläre ihr, dass sie es genau so machen würde, was damals ihre Mutter als Kind tat: Sie hatte sich ein Korsett aus Stahl innerlich gebaut, um den Schmerz nicht zu fühlen. Und ich erkläre ihr, dass Kinder das oft tun, um sich ihrer Mutter näher zu spüren. Sie würden so etwas wie ein Team von Gleichgesinnten mit der Mutter bilden wollen. 

Die junge Frau am Telefon kann das verstehen. Dann gehen wir zur gestalttherapeutischen Intervention. Dahinter steht die Erfahrung, dass Ausgesprochene Wahrheit heilt.

Ich bitte sie, die Sätze, die ich ihr vorsage, laut auszusprechen. Zuerst frage ich sie, wie sie die Mutter nannte: Mama oder Mutti oder Mutter? Sie nannte die 𝘔𝘢𝘮𝘢. 

Der erste Satz ist: 

KLIENTIN: 𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘶𝘮 𝘕ä𝘩𝘦 𝘻𝘶 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 spüren, 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘵𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯. Sie sage, ihre Augen würden nass. Wir sind auf einem guten Weg. 

Der nächste Satz lautet:

KLIENTIN: 𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘶𝘮 𝘕ä𝘩𝘦 𝘻𝘶 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 spüren, 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘵𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯, 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘢𝘴 𝘵𝘶𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘴𝘰 𝘪𝘮𝘮𝘦𝘳 𝘯𝘰𝘤𝘩.

Dann bitte ich sie, den nächsten Satz wieder laut auszusprechen, und darauf zu achten, wie sich ihr Körper anfühlt:

KLIENTIN: 𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘶𝘮 𝘕ä𝘩𝘦 𝘻𝘶 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 spüren, 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘵𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯, 𝘢𝘣𝘦𝘳 𝘥𝘢𝘴 𝘩𝘢𝘵 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘮𝘪𝘵 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘓𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘻𝘶 𝘵𝘶𝘯.

Obwohl ich es schon in ihrer Stimme hören kann, fragte ich sie, ob sich der Satz 'wahr' anfühlt. Was sagt ihr Körper? Wieviel Prozent ist dieser Satz wahr? 

KLIENTIN (antwortet sofort): 21%. Der Satz ist nur zu 21% wahr.

Ich bitte sie den Satz zu wiederholen, damit ich in ihrer Stimme höre, warum die anderen 79% unwahr waren. Ich höre, dass sie nicht loslassen 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘵𝘦. Es war kein Nicht-Können, sondern ein Nich-Wollen. Ich verstehe warum und bitte sie, den folgenden Satz laut zu sprechen.

KLIENTIN: 𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘢𝘤𝘩𝘵𝘦, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘴 𝘥𝘪𝘳 𝘯𝘢𝘤𝘩𝘮𝘢𝘤𝘩𝘦 𝘶𝘯𝘥 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦n 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘧ü𝘩𝘭𝘦, 𝘸𝘦𝘳𝘥𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘕ä𝘩𝘦 spüren, 𝘶𝘯𝘥 𝘥𝘢𝘴 𝘵𝘶𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘮𝘮𝘦𝘳 𝘯𝘰𝘤𝘩.

Dann frage ich sie, ob die Strategie funktioniert hat. Es war offensichtlich, dass es nicht funktioniert hat, sie fühlt keine Nähe zu Mutter. Jetzt bitte ich sie den folgenden Satz zu sagen und auf ihren Körper zu achten:

KLIENTIN: 𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘢𝘤𝘩𝘵𝘦, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘴 𝘥𝘪𝘳 𝘯𝘢𝘤𝘩𝘮𝘢𝘤𝘩𝘦 𝘶𝘯𝘥 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦n 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 fühle, 𝘸𝘦𝘳𝘥𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘕ä𝘩𝘦 spüren, 𝘢𝘣𝘦𝘳 𝘥𝘢𝘴 𝘩𝘢𝘵 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘮𝘪𝘵 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘓𝘦𝘣𝘦𝘯 𝘫𝘦𝘵𝘻𝘵 𝘻𝘶 𝘵𝘶𝘯.

Diesmal fühlt sich der Satz 'wahr' an. Die stimme ist stark und ohne Zögern oder Schmerz. Wir können weiter mit den Vergebungssätzen machen. Ich erkläre ihr, dass, um die Sätze kurz zu halten, ich das Wort 𝘐𝘨𝘯𝘰𝘳𝘢𝘯𝘻 für alles verwende, was nicht perfekt ist. Vor jedem Satz erkläre ich ihr, wofür die Ignoranz steht.

KLIENTIN: 

𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘣𝘦 𝘮𝘪𝘳, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯𝘨𝘦𝘬𝘭𝘢𝘨𝘵 𝘩𝘢𝘣𝘦, 𝘶𝘯𝘥 𝘶𝘯𝘥 ö𝘧𝘧𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘮𝘦𝘪𝘯en 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘶𝘯𝘥 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘓𝘪𝘦𝘣𝘦 𝘻𝘶 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯.

𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘣𝘦 𝘮𝘪𝘳, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯𝘨𝘦𝘬𝘭𝘢𝘨𝘵 𝘩𝘢𝘣𝘦, 𝘶𝘯𝘥 𝘶𝘯𝘥 ö𝘧𝘧𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘮𝘦𝘪𝘯en 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘶𝘯𝘥 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘓𝘪𝘦𝘣𝘦 𝘻𝘶 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯.

𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘣𝘦 𝘮𝘪𝘳 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘐𝘨𝘯𝘰𝘳𝘢𝘯𝘻, 𝘶𝘯𝘥 ö𝘧𝘧𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘮𝘦𝘪𝘯en 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘻𝘶 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯.

𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘣𝘦 𝘥𝘪𝘳 𝘥𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘐𝘨𝘯𝘰𝘳𝘢𝘯𝘻, 𝘶𝘯𝘥 ö𝘧𝘧𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘮𝘦𝘪𝘯en 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘶𝘯𝘥 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘓𝘪𝘦𝘣𝘦 𝘻𝘶 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯.

In besonders emotional geladene Situationen füge ich noch den folgenden Satz zu:

𝘔𝘢𝘮𝘢, 𝘪𝘤𝘩 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘣𝘦 𝘮𝘪𝘳, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯𝘨𝘦𝘬𝘭𝘢𝘨𝘵 𝘩𝘢𝘣𝘦, 𝘮𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯𝘨𝘦𝘬𝘭𝘢𝘨𝘵 𝘻𝘶 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯, 𝘶𝘯𝘥 𝘶𝘯𝘥 ö𝘧𝘧𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩, 𝘮𝘦𝘪𝘯 𝘚𝘤𝘩𝘮𝘦𝘳𝘻 𝘶𝘯𝘥 𝘮𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘓𝘪𝘦𝘣𝘦 𝘻𝘶 𝘧ü𝘩𝘭𝘦𝘯.

Dieser Satz ist jetzt nicht erforderlich.

Wir beenden so das Gespräch. Ich ermutigte sie, in Gesprächen mit ihrem Mann ihre Verwundbarkeit, ihren Schmerz zu zeigen. Das wird ein Dialog mit ihm wieder möglich machen.